Wie gut sind gebrauchte Steinway Flügel?
Kann ich guten Gewissens einen gebrauchten Steinway kaufen?
Vielleicht haben Sie einen Flügel geerbt, Fabrikat Steinway & Sons. Vielleicht befindet sich dieser Flügel schon seit Generationen im Besitz Ihrer Familie. Und vielleicht fragen Sie sich, wie es um die Qualität Ihres bis zu 100 Jahre alten Steinway Flügels bestellt ist.
Lohnt sich eine Restaurierung? Lohnt sich eine Reparatur des Instruments? Ist die Qualität des Instruments nach einer Restaurierung mit der Qualität eines neuen Steinway-Flügels vergleichbar? In welche Kategorie lässt sich das restaurierte Instrument einordnen? Ist es besser? Ist es schlechter? Oder ist es oder nur anders? Sollten Sie sich vielleicht von Ihrem gebrauchten Instrument trennen und einen neuen Steinway Flügel kaufen? Was wäre die beste Lösung?
Wertsteigerung von Steinway-Flügeln?
Der Wert bzw. die Wertsteigerung Ihres geliebten Steinway Flügels kann für unsere Überlegungen eine Rolle spielen. Betrachten wir zunächst die Preisentwicklung eines Steinway Flügels seit der Nachkriegszeit: Ein Steinway A-188 kostete im Jahr 1951 7.950,00 DM, im Jahr 1994 bis zu 77.390,00 DM und 117.950,00 Euro (!) im Jahr 2023.
Anmerkung: angefügt ein Link zur Preissteigerung bei Flügeln von Steinway & Sons ab Baujahr 1951
Reparatur eines gebrauchten Steinway oder Neukauf?
Die Überlegung für eine Entscheidung aufgrund dieser Zahlen wäre also folgende:
Gebe ich für eine komplette Reparatur meines geliebten Instruments inklusive neuer schwarzer Polyesterlackierung einen Bruchteil dessen aus, was ein neuer Steinway kosten würde, oder kaufe ich mir lieber einen neuen Steinway A-188 Flügel für 177.950,00 Euro (Stand 2023)?
Ist mein alter Steinway Flügel nach der Restaurierung genauso gut wie ein neues Instrument? Ist das Holz, insbesondere das Klangholz, noch gut?
Bei dieser Betrachtung lassen wir den Austausch von Verschleißteilen im Rahmen der Restaurierung außer Acht, da diese erneuert werden.
Bild: Hebeglieder, Hämmer mit Stielen (Verschleißteile) erneuert
Wie ist die Holzqualität zu bewerten?
Das Geheimnis des außergewöhnlichen Klangs alter Meisterinstrumente, insbesondere im Geigenbau, versucht man schon seit langem zu entschlüsseln. Die technische Herstellung und die kunsthandwerklichen Fertigkeiten sind bekannt. Was ist also für den Klang entscheidend?
Erst in jüngster Zeit erkannte man, dass es auf die Qualität des Rohmaterials Holz ankommt. Doch worin unterscheiden sich die Hölzer des 21. Jahrhunderts von denen früherer Epochen?
Betrachten wir die Zeit, in der die bis heute unnachahmlichen Meistergeigen von Guarneri, Amati, Klotz, Gasparo da Salò, Giovanni Paolo Maggini, Tecchler usw. entstanden sind.
Ein Blick auf den Baumbestand Mitte des 17. Anfang des 18. Jahrhunderts zeigt, dass die Bäume damals in Jahreszeiten mit harten, kalten Wintermonaten und kühlen Sommern wuchsen (Maunder-Minimum). Die Luft war rein, die Böden biologisch intakt. Der Anteil harter Jahresringe im Baumbestand war höher, die Zellwände des Holzes waren dünner und die Holzkomponenten reiner.
Welche Merkmale hat ein gutes Klangholz?
Bild: Holzplatz zum trocknen von Klangholz im Klavierbau
Gutes Klangholz zeichnet sich durch einen hohen Anteil harter Jahresringe mit hoher Schallleitfähigkeit aus. Hölzer mit dünneren Primärzellwänden vermitteln einen langen, tragenden Ton.
Die harten Jahresringe bilden sich langsam in der kalten Jahreszeit. Die weichen Jahresringe mit eher schallhemmender Wirkung in wärmeren Jahreszeiten. Deshalb wird heute im Premium Klavierbau gerne Klangholz aus extrem kalten Höhenlagen wie Sitka (Alaska) verwendet.
Die Zellstruktur und die Inhaltsstoffe des Holzes hängen zudem stark von der Qualität des Bodens, auf dem die Bäume wachsen, und von Umwelteinflüssen ab.
Die durch Umwelteintrag (saurer Regen, Luftverschmutzung etc.) im Holz eingelagerten Inhaltsstoffe sind unveränderlich. Allerdings gelang es biotechnologisch, mit Hilfe bestimmter Pilze die massive Holzzellwand (Primärzellwand) zu verjüngen.
Das klangliche Ergebnis ist unglaublich! Der Ton erklingt länger, ist tragfähiger, mit klaren, nicht zu scharfen Höhen und einem großen, tiefen Bassvolumen.
Der Versuch, unser heutiges Rohmaterial mit Hilfe bestimmter holzzersetzender Pilze biologisch an die Qualität alter Hölzer heranzuführen, ist für den Geigen- und Gitarrenbau ein Stück weit gelungen.
Im Klavierbau, der mit enorm hohen Zugbelastungen von bis zu 20 Tonnen arbeitet, liegen bisher keine Daten vor. Die Stabilität von derart verändertem Klangholz für Klaviere und Flügel muss erst noch auf seine Eignung hin untersucht werden.
Das Forscherteam um Prof. Dr. Francis Schwarze[1] von der der Empa[2], St. Gallen, bewertet den Status quo der Holzqualität im Instrumentenbau folgendermaßen:
„Heutzutage wachsen Bäume schneller und ungleichmäßiger als in einer bestimmten kühlen Periode im 17. Jahrhundert, als das Holz für Stradivaris Instrumente wuchs. Aufgrund negativer Umwelteinflüsse und gravierender Klimaveränderungen hat heutiges Holz daher ungünstigere Eigenschaften für den Geigen- und Gitarrenbau - und damit auch für den Bau von Resonanzböden für Klavier und Flügel(!).“
Bild: Zum Resonanzboden verarbeitetes Klangholz
Gebrauchte Steinway Flügel mit einzigartigem Klang
Das Holz, das zum Bau von „alten“, gebrauchten Steinway Flügeln verwendet wurde, unterscheidet sich signifikant in seiner Struktur bis hin zur Holzzelle vom heute verwendeten Holz. Der heutige Baumbestand leidet unter dem Klimawandel und der Übersäuerung der Böden.
Das Klangholz eines alten oder älteren, gebrauchten Steinway Flügels besteht aus Klangholz von Bäumen
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- mit reineren Holzinhaltsstoffen,
- dünneren Zellwänden
- und gleichmäßigerer Struktur.
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Die klangliche Qualität eines älteren oder alten Steinway Flügels mit tiefem, runden Bass, singenden Mitten und strahlenden Höhen ist unübertroffen.
Nach einer sorgfältigen Restaurierung sind alle Verschleißteile erneuert und das Klangholz gepflegt.
Ihr geliebter Steinway Flügel ist wieder zu dem geworden, was er von Anfang an war: Ein Instrument mit einzigartigem Klang.
Bild: gebrauchte und restaurierte Steinway Flügel Ausstellung zum Kauf
Weitere Artikel und YouTube
Anbei weiterführend ein Link zur Preissteigerung der Steinway Flügel seit der Nachkriegszeit sowie ein Artikel und ein Youtube-Link (Material- und Forschungsanstalt, Biospektrum) : Holzzelle und Klangverbesserung durch Einsatz bestimmter Pilzarten.
Preise (€) von neuen Steinway Flügeln ab Baujahr 1951
Empa-TV Klangholz im Geigenbau
Artikel im Biospektrum : .pdf-download, Pilze zur wertsteigernden Holzfunktionalisierung
[1] Prof. Dr. Francis W.M.R. Schwarze hat an der Reading University Pure and Applied Plant & Fungal Taxonomy studiert und später an der Professur für Forstbotanik der Albert-Ludwigs-Universität über die Entwicklung und biomechanische Auswirkungen von Holzzersetzenden Pilzen in lebenden Bäumen promoviert und sich in 2006 habilitiert. Seit 2003 leitet er die Fachgruppe Bio-engineered Wood an der Empa in St. Gallen, Schweiz
[2] Empa ist die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen, CH
Zuletzt aktualisiert am 17.10.2024 von Robert Fies.